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Führung ‚neu‘ gedacht? Diese Erwartungen stecken dahinter (Teil 2)

Viele denken bei neuen Führungsstilen oft an Start-Ups, Wände mit bunten Klebezetteln und eine ausgelassene Arbeitsatmosphäre. Dabei vermittelt die Theorie neuer Führungsansätze nicht das Auflösen von Ordnung und Struktur, sondern das Aufstellen von Regeln, um eine kreativere und kollaborativere Zusammenarbeit zu ermöglichen. Wir haben mit Marvin, Senior Innovation Manager and Agile Coach bei der SVG GARAGE, über die Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte gesprochen. Und gleichzeitig erfahren, welche Erwartungen hinter neuen Führungsansätzen stecken.

SVG GARAGE: Marvin, beim letzten Mal haben wir viel über die Theorie zu neuen Führungsansätzen und Anforderungen an Führungskräfte gesprochen. Wie motiviert man Mitarbeiter und Führungskräfte diese neuen Ansätze mitzutragen?

Marvin Nestler: „Sobald ein Mitarbeiter merkt, dass er tatsächlich Entscheidungskompetenz erhält, seine Aufgaben Sinn stiften, er Prozesse und Projekte aktiv mitgestalten kann, ist eine gewisse intrinsische Motivation gegeben. Man geht in der Theorie davon aus, dass Mitarbeitende in diesem Fall Feuer und Flamme für ihre Arbeit sind. In der Praxis entspricht das sicher nicht jedem Mitarbeiter. Aber gerade bei jüngeren Generationen, die nicht mehr von der Trennung zwischen Arbeit und Privatleben sprechen und Arbeit oft mit Selbstverwirklichung und eine konkrete tiefere Überzeugung verknüpfen, trifft das häufig zu.

Ich sehe das so: Früher gab es zwei Welten, die Arbeit und das Privatleben. Mittlerweile, befördert durch die Pandemie, verschwimmen diese Grenzen.“

Neue Führungsansätze versprechen der Arbeitswelt eine starke Mitarbeiterbindung, mehr Arbeitszufriedenheit uvm. Dafür durchlaufen Führungskräfte und Mitarbeiter einen starken Wandel, den Marvin in Führung ‚neu‘ gedacht? (Teil 1) näher beschreibt.

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SVG GARAGE: Mehr Mitbestimmung, weniger Kontrolle: Viele denken, dass diese Veränderung einher geht mit dem Loslösen von Struktur und Ordnung. Wie denkst Du darüber?

Marvin Nestler: „Dem kann ich nicht zustimmen. Ab dem Moment, an dem Strukturen aufgelöst werden, ist es umso wichtiger, dass die noch bestehenden Strukturen gefestigt werden. Um das besser zu erklären, nehme ich immer gerne das Beispiel einer Autobahn. Früher war das mit der Führung so: Man hatte drei Spuren – sinnbildlich gesprochen für die Aufgabenbereiche der jeweiligen Mitarbeiter – und außen die Leitplanken – in diesem Fall der Aufgabenbereich der Firma. Ergänzt wurde dieses Bild mit einem Verkehrsschild, auf dem die Richtung bzw. Vision stand, in die man fahren sollte. Alles war genau vorgegeben, es gab kaum Gestaltungsspielraum bzw. Spurwechsel. Mit den neuen Führungsansätzen werden die Spurmarkierung weggenommen, es kommt also unweigerlich zu Spurwechseln. Jeder Mitarbeiter kann seine Kompetenz nun überall zielführend einbringen.

Das heißt jedoch, dass die Leitblanken am Rand der Straße verstärkt werden muss. Der Sinn der Firma und deren Wertschöpfung muss für jeden Mitarbeiter klar dargestellt werden, die Beschilderung muss daher von überall klar ersichtlich sein.

Es braucht daher dringend Vorgaben, denen jeder folgen kann. Agilität und Mitgestaltung bedeutet nicht Chaos, sondern eher ein Festigen der verbleibenden Strukturen.“

SVG GARAGE: Wie erlebst Du Führung in der SVG GARAGE?

Marvin Nestler: „Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir uns stetig neu erfinden und ausprobieren können. Oft nehmen wir dabei die Theorie als Basis und versuchen sie in unsere eigene Praxis umzusetzen. Ich spreche bewusst von ‚unserer Praxis‘. Denn wir haben schon oft festgestellt, dass Anpassungen notwendig sind, damit Theorie gewinnbringend eingesetzt werden kann. Ich empfehle jedem, den Einsatz von neuen Führungsansätzen und Methodik im Alltag zu reflektieren und hinterfragen. Nur so kommt man zu den Anpassungen, die für das jeweilige Team wichtig sind. Im Fall der SVG GARAGE kommen wir durch solche Runden Stück für Stück zu der Zusammenarbeit, die uns wirklich vorwärtsbringt.

Natürlich kommt es aber immer auf den Arbeitsauftrag an. Bei Krisensituationen oder Stresssituationen bleibt keine Zeit, sich ausführlich mit dem Problemraum zu beschäftigen. In diesem Fall ist es notwendig, dass die Führungskraft vom Befähiger zum Entscheider wechselt.

Mir ist wichtig zu sagen, dass es viele Bereiche und Prozesse gibt, die von strengen Strukturen abhängen. Jeder muss selbst herausfinden, wie Mitarbeitende am besten intrinsisch motiviert werden können.“

SVG GARAGE: Wie, denkst Du, werden sich diese neuen Führungsansätze durchsetzen und bestehen?

Marvin Nestler: „Ich denke, dass es noch lange dauern wird, bis sich hier ein neuer Standard etabliert hat. Im Grunde kommen wir von einer Arbeitskultur, die vor allem in größeren Unternehmen, oft auf extrinsische Motivatoren gesetzt hat. Konkret sind das Gehalt und Position. Diese Arbeitskultur hat lange gut funktioniert. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen in diesen Kulturen gearbeitet und ihre Werte verinnerlicht haben. Ein Wandel wird sicherlich noch dauern.

Viel wichtiger sind in meinen Augen der Elan und die Beweggründe, warum man diesen Wandel in Angriff nimmt. Diese Führungsansätze helfen den Unternehmen sich mit volatilen und schnelllebigen Märkten erfolgreich auseinanderzusetzen, sogar marktfähig zu bleiben. Das kann vor allem für klein und mittelständische Unternehmen enorm wichtig sein. Man bekommt das nicht hin, indem man sich tolle Dinge vornimmt und sie an die Wand hängt. Ebenso wenig, wenn sich Führungskräfte mit Sneakern und ohne Krawatte auf bunten Bürowürfeln mit jungen Menschen ablichten lassen und danach gleich wieder gehen. Es braucht viel Energie, Kraft und Durchhaltevermögen, Führungskräfte und Mitarbeiter für diesen Weg zu motivieren. Bei beiden Parteien braucht es Zeit und Änderungsbereitschaft, um vom Wandel ins konkrete Tun zu kommen.“

SVG GARAGE: Vielen Dank für das Gespräch.